Zum Experten-Artikel im Hamburger Abendblatt: rund um Prokrastination/ Aufschieberitis

Artikel Abendblatt

Wow, das war wirklich schön! Der Moment, als ich am 29.06.2020 am Nachmittag in meinen EMail-Posteingang schaute und darin eine Email von Ann-Britt Petersen vorfand. Darin stand:

“Liebe Frau Grobbin,

für eine der nächsten Wochenend-Ausgaben der Seite “Von Mensch zu Mensch” im Hamburger Abendblatt, recherchiere ich einen Artikel zum Thema “Aufschieberitis”. Dazu habe ich Ihre sehr ansprechende Internetseite im Netz gefunden und würde Sie gern als Expertin zu diesem Thema interviewen. Es soll in meinem Artikel darum gehen, das Phänomen vorzustellen, das ja viele Menschen in Ansätzen kennen, man denke nur an die Steuererklärung. Es soll auch thematisiert werden, was dahinter stecken kann, welche Auswüchse es annehmen kann und wie man es bewältigen kann.” […]

Ann-Britt Petersen
Freie Redakteurin
im Auftrag vom
Hamburger Abendblatt
Ressort “Von Mensch zu Mensch”

Ein Interview für das Hamburger Abendblatt! Einer der größten Tageszeitungen Deutschlands mit einer Auflage von über 150.000 Exemplaren und 500.000 LeserInnen! Ich freue mich ja generell über Presseanfragen, aber über diese besonders! Zumal, wenn sie mit so einem freundlichen Lob meines Internetauftritts einher geht. 🙂

Am 07.09. war es soweit, Frau Petersen und ich trafen uns im Abaton Bistro, einem netten Restaurant in Uni-Nähe. Wir waren uns auf Anhieb sympathisch und hatten ein sehr nettes Gespräch von über einer Stunde Dauer, während dem Frau Petersen sich viele Notizen machte.

Aktuell (Stand: 29.09.2020) geht es hier zum Artikel im Hamburger Abendblatt.

Da ich nicht weiß, ob und wie lange dieser ARtikel frei verfügbar sein wird, und weil darin natürlich nicht Platz für alle Details war, die wir besprochen haben, kannst du nun hier meinen eigenen Artikel zu den Themen lesen.

Was ist Prokrastination?

Natürlich ging es zunächst darum, was Prokrastination oder Aufschieben überhaupt ist. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen von “procrastinatio” für Vertagung oder Aufschub. Im anglo-amerikanischen Raum ist “procrastination” ein landläufiger Begriff, im Deutschen sagt man häufiger auch Aufschieben oder Aufschieberitis.

Geht man das Thema wissenschaftlich an, so wird unterschieden zwischen “Prokrastination” bei einem größeren Problem mit starken Konsequenzen und “Aufschieben” bei einem noch “normalen” Verhalten. Definitionen gibt es so viele, wie es mittlerweile Literatur zum Thema gibt. Den meisten gemeinsam ist, dass jemand, der aufschiebt, eine Sache, die eigentlich erledigt werden sollte, nicht beginnt oder nicht fertigstellt, obwohl klar ist, dass negative Folgen drohen.

Mehr Details zu diesen grundlegenden Themen inkl. der Quellen findest du in meinem kurzen Überblicksartikel zu Prokrastination.

Wer ist betroffen?

Wenn ich danach gehe, wer von mir alles Tipps und Trick lernen möchte, wenn ich davon berichte, womit ich mich in meiner Arbeit beschäftige, dann schiebt so gut wie jede/r Dinge auf. Trotzdem haben die meisten das Gefühl, sie wären die einzige Person, die bestimmte Sachen nicht erledigt. Schließlich leben wir in einer Gesellschaft, in der es oft darum geht, nach außen einen guten Eindruck zu machen. Einige Studien finden entsprechend heraus, dass bis zu 95% der Befragten mindestens sporadisch aufschieben.

Betrachtet man die schwerere Form, die “richtige Prokrastination”, so fallen in der Forschung oft zwischen 10 und 30 % darunter. Da es weder einheitliche Messinstrumente noch allgemeingültige Normwerte gibt, sind die Ergebnisse nicht vollständig vergleichbar.

Gibt es Personen, die besonders gefährdet sind?

Laut einigen Studien steigt das Risiko für Prokrastination mit dem Ausmaß an Freiheit und entsprechend der Anforderung an die Selbstorganisation. Deshalb scheinen z.B. Studierende stark gefährdet zu sein, ebenso wie Freiberufler. Im Studium scheinen diejenigen stärker aufzuschieben, bei denen das Studium zum Großteil frei und selbstorganisiert ist. Allerdings weiß ich auch, dass diejenigen, die stark reglementierte Studiengänge nicht schaffen, ihr Studium dann eher abbrechen und somit wahrscheinlich aus den Stichproben herausfallen, deshalb wäre ich da mit einer endgültigen Schlussfolgerung eher vorsichtig. Fakt ist natürlich, dass nur diejenigen ein Studium wie Jura, BWL, Medizin oder Pharmazie erfolgreich schaffen, die es irgendwie rechtzeitig schaffen, die erforderlichen Leistungen zu erbringen. Aus meiner Praxis weiß ich aber auch, dass dies nicht selten mit den berühmten “Nachtschichten” einher geht.

Welche Auswirkungen kann Prokrastination haben?

Die Auswirkungen von Prokrastination können vielfältig sein. Zunächst natürlich unangenehme Gefühle wie Scham, schlechtes Gewissen oder Ärger über sich selbst, Reue über verpasste Chancen bis hin zu Überforderung und depressiver Verstimmung. Und dann alle Formen von Auswirkungen, die mit dem Nicht-Erledigen von Aufgaben oder dem Verpassen von Fristen einher gehen: Strafzahlungen, Ärger mit Auftraggebern oder auch Familie und Freunden, Verlängerung oder sogar Abbruch des Studiums bis hin zu Abmahnungen oder sogar Verlust des Arbeitsplatzes durch starke Prokrastination. Selbständige, die ihre Rechnungen nicht zahlen oder sich nicht um neue Aufträge kümmern, können Pleite gehen. Viele suchen sich zum Glück zu einem früheren Zeitpunkt Hilfe, um das Schlimmste zu vermeiden.

Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es?

Vorab: Wenn die Prokrastination sehr stark ist und/oder gleichzeitig eine psychische Erkrankung vorliegt, sollte man sich um eine Psychotherapie bemühen. Gute erste Anlaufstellen dafür sind z.B. der Hausarzt, die psychosozialen Beratungsstellen vor Ort sowie die Kassenärztliche Vereinigung. Auf Psychenet.de gibt es eine gute Übersicht über die verschiedenen Möglichkeiten.

Wenn das Leben noch bewältigt wird, jedoch durch die Prokrastination eingeschränkt wird, ist ein Workshop, Seminar oder Coaching eine gute Wahl. Zu mir kommen häufig Menschen, die zwar das meiste “noch irgendwie hinkriegen”, sich jedoch zunehmend unwohl mit ihrem Verhalten fühlen und es gern verändern möchten. Oft genannt wird als Grund für die Kontaktaufnahme der Wunsch, die Aufgaben entspannter anzugehen, tagsüber zu arbeiten anstatt “Nachtschichten” zu schieben und eine bessere Aufteilung von Arbeit und Freizeit zu erreichen.

Was kann man selbst tun?

1. Ist-Zustand bestimmen

Zunächst ist es wichtig, den Ist-Zustand in Augenschein zu nehmen. Was genau wird aufgeschoben? Gibt es bestimmte Arten von Aufgaben, die aufgeschoben werden? Welche Gemeinsamkeiten gibt es? Welche Auswirkungen? Welche Gefühle lösen diese Aufgaben aus?

2. Ursachen klären

Das führt dann zum zweiten Schritt: den Ursachen auf den Grund zu gehen. Diese können sehr unterschiedlich sein.

Manchmal ist das Zeitmanagement nicht gut oder passend. Dann hilft es, gute und passende Techniken zu benutzen, um diese zu verbessern.

Oder das eigene Ziel ist nicht klar, d.h. warum soll die Aufgabe erledigt werden. “Damit ich einen Zettel habe, wo Bachelor draufsteht.” (Zitat einer Studentin, als ich sie im Seminar nach ihrem Ziel fragte) ist nur dann ein motivierendes Ziel, wenn klar ist, was man davon hat, diesen Zettel zu haben. “Ein gutes Einkommen, Spaß bei der Arbeit, Arbeiten in einem tollen Team” während Beispiele für Ziele, die attraktiv genug sein könnten, um die Prokrastination zu überwinden und die entsprechende Aufgabe anzugehen.

Sehr häufig liegt es aber auch daran, dass man sich mit der Aufgabe überfordert fühlt oder Angst davor hat. Es kann z.B. Angst sein, etwas falsch zu machen oder sogar ganz zu versagen, v.a. wenn noch Perfektionsanspruch hinzukommt. Dieser spielt recht häufig mit hinein. Anstatt eine Aufgabe unperfekt zu erledigen, fängt man lieber gar nicht erst an. Oder man wartet z.B. bei Texten darauf, dass einen “die Muse küsst” und der Text im Kopf fertig ist, bevor man mit dem Schreiben beginnt. Dies geschieht allerdings eher selten. Auch diese Zeilen entstehen z.B. gerade beim Schreiben selbst und in der Auseinandersetzung mit dem Thema.

Durch die Auseinandersetzung mit dem Thema kommen viele schon langsam in neue Verhaltensmuster. Anstatt z.B. im “Tagebuch des Aufschiebens” bis zum nächsten Seminartermin einzutragen, was (schon wieder) nicht geschafft wurde, setzen sich viele einfach dran und erledigen die kleineren Aufgaben. Eine häufige Rückmeldung ist auch, dass es jetzt nicht mehr so einfach sei, sich selbst “zu belügen”, d.h. man merke jetzt so gut wie immer viel früher, dass man gerade aufschiebe. Das ist natürlich nicht nur angenehm. Deshalb weise ich vor den entsprechenden Übungen in einem Workshop oder Seminar auch immer auf die “Nebenwirkungen” hin.

3. Methoden und Techniken

Im dritten Schritt kann man dann gezielt nach Methoden und Techniken suchen, die helfen, das Problem zu lösen und ins Tun zu kommen. Methoden, die für viele sehr gut funktionieren, sind z.B.

  • Ein Anfangsritual: z.B. zuerst einen Tee kochen oder kurz (!) die Dinge zurechtlegen – und dann anfangen!
  • Gute Planung: damit klar ist, was zu tun ist. Sinnvolle Menge festlegen, wir nehmen uns oft zuviel vor. Eine gute Methode, um dies zu vermeiden, ist die Ivy-Lee-Methode.
  • Die Pomodoro-Technik: Wecker auf 25 Minuten stellen und während dieser Zeit am Projekt arbeiten – ohne Unterbrechung.
  • Salami-Taktik: die Aufgabe in kleine Abschnitte unterteilen und diese dann nach und nach abarbeiten (mehr Zeitmanagement-Tipps findest du hier).
  • Ablenkungen abschalten, z.B. das Handy auf Flugzeugmodus schalten und weit weg legen.
  • Gemeinsam arbeiten: Gleichgesinnte suchen und gleichzeitig arbeiten und darüber berichten. Das geht übrigens auch online.
  • Konstruktiver Umgang mit Emotionen: die Gefühle, die zu Prokrastination führen, beachten und einen guten Umgang damit finden z.B. Bewegung, eine Entspannungsübung oder Meditation
  • Konstruktiver Umgang mit den eigenen Gedanken: Bemerken, welche Gedanken zum Aufschieben führen und diese durch konstruktive Gedanken ersetzen.
  • Unterstützung suchen: Wenn man selbst nicht weiterkommt, ist es keine Schande, sich von einem Profi ein bisschen unter die Arme greifen zu lassen. Bei mir geht das z.B. im Rahmen eines Coachings oder durch einen Online-Kurs.

Das war der erweiterte Überblick über die Inhalte unseres Gesprächs.

Als der Artikel am 29.08.2020 dann erschien und ich die Zeitung in den Händen hielt, war ich schon etwas stolz. Ich habe auch gleich zwei Zeitungen gekauft, damit ich ein Exemplar in Reserve habe, falls mit dem ersten irgendetwas passiert. 🙂

Freundlicherweise war in der Printversion auch noch ein Hinweis auf den Anti-Aufschiebe-Tag 2020 enthalten, der am 06.09.2020 stattfand. Von diesem Tag berichte ich in einem der nächsten Blog-Artikel.

Aktuell (Stand: 29.09.2020) geht es hier zum Artikel im Hamburger Abendblatt.

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